Selbstverständnis

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Konzeptteam der Zusatzqualifikation Erlebnispädagogik
Andreas Bedacht, Josef Birzele, Manfred Huber, Dr. Martin Schwiersch, Jochen Simek
Mai 2009


In der erlebnispädagogischen Weiterbildung gehen wir von folgendem Selbstverständnis aus:

 

Ziel unserer erlebnispädagogischer Arbeit

ist die Bildung der Person durch zielgerichtetes ganzheitliches und erlebnisorientiertes Lernen in Gruppen, natürlicher Umgebung und durch natursportliche Tätigkeiten. Dabei erwarten wir, dass ErlebnispädagogInnen beziehungsorientiert, pädagogisch reflektiert, fachsportlich kompetent und mit der Perspektive der Umweltbildung vorgehen.

 

Person/Gruppe

Fokus der Arbeit ist das Individuum, auch wenn erlebnispädagogische Arbeit zu einem guten Teil in Gruppen stattfindet. Auch bei teambildenden oder gruppendynamischen Lernkonzepten haben wir den einzelnen Menschen im Blick. Ziel ist, ihm Lern-, Entwicklungs- und Bildungsgelegenheiten zu bieten. Eine förderliche Gruppendynamik gewährleistet individuelles Lernen auch in Bezug auf Sozialkompetenzen in Gruppen; daher werden im Rahmen der Ausbildung methodische Hilfen zur Gestaltung von Gruppenprozessen vermittelt.

 

Bildung

Die Bildungsdiskussion fokussiert derzeit Begriffe wie „Kompetenzen“, „skills“ und „Schlüsselqualifikationen“; Bildung aber geht in einem humanistischen Menschenbild, dem wir uns verpflichtet fühlen, darüber hinaus. Ein gebildeter Mensch ist sich der Hintergründe seiner Tätigkeit bewusst: als Sportler kennt er die Geschichte seines Sports; als Naturaufsucher weiß er um ökologische Zusammenhänge und kennt grundlegende kulturgeschichtliche Hintergründe der Orte, die er aufsucht. Im sozialen Austausch ist er sich bewusst, dass Individuen Prozesse beeinflussen und nicht nur von ihnen beeinflusst werden. Er schätzt nicht nur das Ergebnis, sondern auch den Weg dorthin. Als Mensch genießt er die Idee lebenslangen Lernens und erkennt die Notwendigkeit, dadurch seine individuelle Handlungsfähigkeit für eine komplexe Welt zu stärken. Ein gebildeter Mensch weiß um die wertebezogene Verschränkung von Individuum und Gesellschaft und kann sowohl persönliche Ziele verfolgen wie gesellschaftsbezogen empfinden und handeln. Er ist begeisterungsfähig, neugierig, konfliktfähig und authentisch.

Nach unserem Lernverständnis bildet Erlebnispädagogik vielfältig: Lernprozesse werden im Hinblick darauf gestaltet, Erfahrungen zu ermöglichen. Der Auftrag der Erlebnispädagogik ist es, Handlungskompetenzen, Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Ihre Teilnehmer erhalten Gelegenheit, Weltwissen, Erkenntnisse, Urteilskraft, Selbstsicherheit und Identität in einem eigenständigen und unmittelbaren Lernprozess auszubilden. Die Zusatzqualifikation befähigt die AbsolventInnen, dieses Potenzial pädagogisch einzusetzen.

 

Zielgerichtetes Handeln

Wir verstehen Erlebnispädagogik als zielgerichtete Methode, deren Inhalte mit Beteiligten und Auftraggebern ausgehandelt werden. Im Vordergrund stehen Lernchancen und Erfolge der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, nicht die Planerfüllung. Die Gruppenleitung muss gleichsam gut planen und improvisieren können. Das Maß der Herausforderung ist selbst gewählt. Mutproben und Härterituale sind verzichtbar, Humor nicht. Begegnung und sanfte Methoden sind nach unserem Verständnis sinnvoller und erzeugen meist nachhaltigere Erlebnisse als die Verlängerung der Abseilstrecke um zehn weitere Meter oder die Durchführung von drei Übungen in der Zeit von einer.

 

Ganzheitliches Lernen

Eigenes Handeln ist ganzheitlich; es beinhaltet körperliche, emotionale, kognitive und soziale Aspekte. Eigenes Tun birgt die Chance der größten Verarbeitungstiefe. Durch eigenes Tun zu Ergebnissen zu gelangen ist eine Grundvoraussetzung, um Selbstwirksamkeit zu erlangen. Sich selbst wirksam zu fühlen ist eine Basis für Selbstvertrauen und Identität.

 

Erlebnisorientiertes Lernen

Ein gegenüber „Alltagssituationen“ hervorgehobenes Erleben kann die mit eigenen Erfahrungen verbundenen Lernprozesse emotional vertiefen und kognitiv verankern. Das „Erlebnis“ ist Erinnerungskern des Erlernten und gleichzeitig Reflexionsmaterial für weiteres Lernen.

 

Reflexion, Transfer und einfaches Handeln

Reflexion als ein zweiter Blick auf das Erlebte und die Einnahme verschiedener Perspektiven ist eine Voraussetzung für Bildung; gleichzeitig wird Reflexion mit zunehmender Bildung selbstverständlich und natürlich.

Aus diesem Prozess ergibt sich die Weiterentwicklung von Verhaltensoptionen – ein Ergebnis, das sich die PädagogInnen für die ihnen Anvertrauten erhoffen. Die Frage des Transfers fließt als eine grundlegende Perspektive bei der Zielbestimmung, der Tätigkeitsauswahl, der Durchführung und der Reflexion ein. Transfer wird behindert, wenn Ziele nicht eindeutig sind, wenn zu viele Aktionen oft keine Zeit mehr lassen und die TeilnehmerInnen von der Abfolge der Tätigkeiten reizüberflutet werden; Transfereinheiten sollten nicht nur am Ende der Aktion stehen, sondern regelmäßig in den Ablauf eingeplant werden. Gleichwohl kann gemeinsames Handeln in natürlicher Umgebung auch dann wertvoll sein, wenn es nicht erlebnispädagogisch intendiert ist, sondern um seiner selbst willen geschieht.

 

Natürliche Umgebung

Natur ist unserer Ansicht nach eine zentrale Lehrmeisterin für den Menschen. Sie ist für ihn: Schutz, Nahrung, Herausforderung, Barriere, unüberwindliches Hindernis, unerwartete Dynamik, Bedrohung, Beruhigung. Eigengestaltete Naturaufenthalte haben empirisch gesicherte förderliche psychische Wirkungen und prägen ökologische Einstellungen dauerhaft.

Wir halten Aufenthalte in der Natur für so wichtig und legitim wie den Zugang zu sauberem Wasser und sauberer Luft.

Aufenthalte in natürlicher Umgebung bilden daher unseren Rahmen für ganzheitliches erlebnisorientiertes Lernen.

Nach unserem Selbstverständnis sollen Erlebnispädagogische Veranstaltungen sowohl explizit dazu beitragen, ein emotional positiv besetztes Verhältnis zur Natur zu entwickeln, als auch das Wissen um unsere lebensnotwendigen Ressourcen weiterzugeben. Es bieten sich 1001 Anlässe, um sich mit Tieren, Pflanzen, Erdgeschichte, Wasser, Evolution, etc. zu beschäftigen. Projektunterricht hätte John Dewey das vor 100 Jahren genannt. Wer in der Fränkischen Schweiz klettert, tut das vielleicht an einem Meeresriff der Jurazeit, wer den Felbertauern überquert, begegnet der Kulturgeschichte eines alten Handelsweges. Die Vermittlung dieses Basiswissen und die Fähigkeit, es auf lebendige Weise weitergeben zu können, ist uns in der Ausbildung wichtig. Der Tatsache, dass unsere TeilnehmerInnen auch als Spezialisten für den gewählten Naturraum ausgebildet werden, trägt das Bayerische Umweltministerium durch eine ausdrückliche Empfehlung der Zusatzqualifikation Rechnung.

 

Freies Sich-Bewegen in der Natur

Wir bewegen uns in freier Natur, weil es uns um die Wirkung der vom Menschen nicht gestalteten, „wilden“ Natur geht, der wir uns aussetzen. Vorgegebene pädagogisch gestaltete Räume sind nicht unser primäres Tätigkeitsfeld. Daher gestalten wir selbst die natürlichen Räume, die wir aufsuchen, nur für kurze Zeit und nur soweit nötig, für ein Spiel oder ein Biwak. Wir wollen nichts hinterlassen, aber was wir mitnehmen wollen, sind Eindrücke und Erinnerungen.

Letztendlich ist auch der Mensch ein Teil der Natur: Er soll insbesondere als Heranwachsender die Erfahrung machen können, sich in freier Natur frei zu bewegen und zu verhalten. Wir halten es für eine Verarmung menschlicher Grunderfahrung, wenn ihm Naturwildnis vorenthalten oder nur in technisch und/oder pädagogisch vorgestalteten Räumen vorgesetzt wird. Vandalismus, Dauerbeschallungen und Hinterlassenschaften von Zivilisationsmüll sind für uns keine Insignien von Freiheit. Allerdings glauben wir, dass die ökologische Verantwortlichkeit bei jungen Menschen, sensible Naturräume und damit die Lebensbedingungen von Tieren und Pflanzen durch eigene Selbstbeschränkungen zu achten, dann entsteht, wenn eigene Erfahrungen mit diesen Naturräumen gemacht wurden.

 

Natursport

Sportliche Gruppenaktivitäten in freier Natur schaffen eine Kontrasterfahrung zum typischen Alltag in einer verstädterten, bewegungsarmen Gesellschaft. Sie setzen diesem unmittelbare sinnliche Erfahrungen entgegen.

Durch den Abstand zum Alltag stellen sie ein wenig vorbelastetes Lernfeld in einer neuen Umgebung dar und legen damit eine Grundlage zur persönlichen Weiterentwicklung. TeilnehmerInnen erleben und erfahren eine unmittelbare körperliche Herausforderung, sensomotorische Kompetenzen und damit Handlungskompetenz, die Erreichung von bislang außerhalb des eigenen Horizonts liegenden Zielen, das Angewiesensein auf die Gruppe und die Notwendigkeit, soziale Verantwortung zu übernehmen und zu erfahren.

 

Risikokompetenz erwerben

Die Einschätzung von Gefahren und Gefährdungen ist ein wesentliches Moment selbst- und gesellschaftsverantwortlicher Lebensgestaltung. Die Erlebnispädagogik bietet dafür ein vorbildliches Lernfeld, da sportliche Tätigkeiten in der Natur immer das Moment des Risikos beinhalten.

Ziel ist es, diese Risiken gut wahrnehmen und einschätzen zu lernen, um diese dann frei wählen oder zurückweisen zu können.

Damit TeilnehmerInnen lernen, Risiken gegenüber zu treten und etwas wagen zu können, muss das Risiko des Wagnisses seitens der Leitung transparent gemacht werden. In pädagogischen Settings dient vor allem ein frei gewähltes Risiko dem persönlichen Wachstum.

Nicht immer liegt die Fähigkeit vor, das Risiko frei zu wählen: Personen mit unangemessener Risikowahrnehmung benötigen Schutz; Personen mit zu großer Ängstlichkeit brauchen eine behutsame Heranführung.

Wir sind uns bewusst, dass das Eingehen physischer Gefährdungen immer eine psychische Belastung mit sich bringt und wissen, dass psychische Risiken auch außerhalb „gefährlicher“ Aktivitäten bestehen.

Wir nehmen eine defensive Haltung gegenüber Gefahren ein. Risikoeuphorie ist also unsere Sache nicht; Risikokompetenz hingegen schon – der Einsicht in die menschliche Grundtatsache folgend, dass es ein Leben ohne Risiken nicht gibt, und das Eingehen von Wagnissen zu einem gelingenden Leben gehört.

 

Spannung und Entspannung, Initiative und Kontemplation

Subjektiv empfundenes Risiko führt zu Spannung und einer Erhöhung der Aufmerksamkeit. „Erleben“ ist nicht an Spannungssituationen gebunden, in ihnen jedoch umstandslos gegeben. Das förderliche Maß von Spannung und Entspannung ist für jede Person zu finden; dies ist eine Aufgabe der Leitung. Das Wechselspiel von Spannung und Entspannung, bzw. der Ausgleich von Eigeninitiative und rücksichtsvoller Kontemplation ist eine Voraussetzung für sozialkompetentes Zusammenleben.

 

Beziehungsorientierung

Lernen und Bildung geschieht immer in Beziehung, insbesondere wenn dabei Situationen aufgesucht werden, die Risiken beinhalten. Auch die Zumutung, eine Situation allein und ohne Hilfe bewältigen zu müssen, ist – als Zu-Mutung – Beziehungsarbeit. PädagogInnen in der Erlebnispädagogik sorgen für die ihnen Anvertrauten; sie sehen Personen vor sich und nicht lediglich Gruppen.

 

Sicherheit und Selbstsicherheit

Die Basis für erlebnispädagogisches Handeln ist Sehen. „Sehen“ meint, einen Blick für die Personen und deren Handeln, die Gruppe und die umgebende Natur zu haben. Bei ausgebildeten PädagogInnen können wir den Blick für Personen und Gruppen voraussetzen. In den jeweiligen fachsportlichen Handlungsfeldern ist der souveräne Umgang mit Technik und Sicherheit die Voraussetzung für den angestrebten Lernerfolg der Gruppe.

Angemessene Kondition und psychische Belastbarkeit wiederum sind Voraussetzung, um Personen und Gruppen auch dann noch begleiten zu können, wenn diese an Grenzen kommen.

Wer als Gruppenleiter selbst mit dem Paddel kämpft, hat für TeilnehmerInnen wenig übrig, wer beim Achterknoten überlegen muss, wird den brütenden Falken erst gar nicht bemerken. Wer konditionell mit sich kämpft, übersieht die überraschend anschwellenden Quellwolken.

Ein ausgeprägtes Bewusstsein für die psychische und physische Sicherheit der Gruppe zeichnet verantwortliche LeiterInnen aus. Dieses Bewusstsein erfordert eigene natursportliche Erfahrung und grundlegende fachsportliche Kenntnisse, die wir bereits zu Beginn der Ausbildung erwarten. Sie werden im Verlauf der Ausbildung weiterentwickelt und sind dann Voraussetzung, um Gefährdungen zu sehen – insbesondere, wenn sie noch nicht eingetreten sind, sondern sich erst entwickeln.

Die Federführung der drei Fachverbände DAV, BKV, VdHK gewährleistet die Aktualität der jeweiligen Ausbildungsinhalte. Dieser Zusammenarbeit hat das Bayerische Kultusministerium Rechnung getragen und alle Lehrpläne geprüft und gebilligt.

 

Führen und Leiten

ErlebnispädagogInnen handeln fachsportlich professionell, pädagogisch kompetent und ökologisch verantwortungsvoll.

Das Leitungs- und Führungsverhalten ist davon geprägt, den TeilnehmerInnen eigene Erkenntnisse zu ermöglichen, die Wechselwirkung von Individuum und Gruppe in einer natürlichen und herausfordernden Umgebung zu erleben und diese Erfahrungen auf den eigenen Alltag zu übertragen. Dadurch wird das persönliche Handlungsrepertoire erweitert und differenziert.

 

Reflektiertes Leitungsverhalten

Erlebnispädagogik bringt immer Situationen mit unerwarteten Dynamiken und Ausgängen mit sich und qualifiziert sich dadurch für die Idee des lebenslangen Lernens. Wir erwarten, dass Leitungspersonen demzufolge auch ihre eigenen Erfahrungen reflektieren und vor dem Hintergrund aktueller pädagogischer Fragestellungen beleuchten. Dies beinhaltet ebenso die ökologische Angemessenheit des eigenen Handelns.

 

Eigene Handlungskompetenz

Unser Zertifikat hat kein Verfallsdatum, fachliches Wissen und Handeln aber unterliegen einem ständigen Veränderungsprozess. Auftretende Probleme führen zu neuen Einsichten und Lösungen. Wir erwarten, dass die Absolventen unserer Ausbildung sich in der aktuellen Fachliteratur über diese Entwicklungen informieren und dadurch die Qualität der eigenen Arbeit sicherstellen.

 

Theoretische und empirische Orientierung

Wir integrieren theoretische und empirische Entwicklungen in die erlebnispädagogische Ausbildung, vor allem aus den Gebieten der Entwicklungspsychologie, Sportwissenschaft und Umweltpädagogik.

Wir beteiligen uns aktiv durch Veröffentlichungen an der Fachdiskussion.

Erlebnispädagogik steht für uns als Herangehensweise in einem anthropologischen Bezug und ist in der Praxis eine Art Begleitungskunst. Sie erfordert eine ständige theoretische und empirische Auseinandersetzung. Dies als Haltung zu fördern ist eines unserer Ziele.

 

Konzeptteam Erlebnispädagogik:
Andreas Bedacht, Josef Birzele, Wolfgang Mayr,
Manfred Huber, Dr. Martin Schwiersch, Jochen Simek
Mai 2009